Jack Aitken exklusiv über IMSA-Racing: „Es geht fast nur um Risikomanagement“

Action-Express-Cadillac-Pilot Jack Aitken im exklusiven Interview vor der heißen IMSA-Phase: Warum das Racing in Amerika so besonders ist
Aktuell gehört Jack Aitken in der laufenden DTM-Saison zum Kreis der Titelkandidaten. In den USA hat sich der Brite als feste Größe in der IMSA etabliert: Er fährt in der GTP-Klasse für Cadillac mit Action Express, bei denen er konstante Ergebnisse liefert. Am DTM-Wochenende auf dem Sachsenring sprach Leadlap.de exklusiv mit ihm über die Technik der GTP-Boliden und die IMSA-Szene.
Das Gespräch dreht sich darum, wie Cautions in den USA den Rennrhythmus verändern, wie das Hybrid-System als Set-up-Werkzeug eingesetzt wird und welche Erfahrungen er aus der DTM in den Langstreckensport mitnimmt.
Frage: „Du hast viel Erfahrung mit GT3-Autos in der DTM gesammelt. Wie hilft dir dieses Verständnis beim Überrunden von GT-Verkehr in der IMSA?“
Jack Aitken: „Es hilft ein wenig, weil man die Stärken und Schwächen des GT’s im Vergleich zum Prototyp versteht. Die GT-Fahrzeuge haben beispielsweise ABS. Dadurch sind sie sehr stark auf der Bremse und selbst bei gemischten Bedingungen, beispielsweise bei halb nasser Fahrbahn, können sie ebenfalls sehr gut bremsen. Dadurch versteht man besser, wie sich die Rennwagen unter diesen Bedingungen verhalten. Aber ich bin mir sicher, dass ich immer noch einige Leute verärgere, wenn ich sie überhole.“
Frage: „Hat die Balance-of-Performance (BoP) einen großen Einfluss auf deinen Fahrstil, sodass die GT3s sich anders verhalten. Sie ist ja in Amerika doch anders als hier.“
Jack Aitken: „Um ehrlich zu sein, finde ich die Vorgehensweise in Amerika eigentlich ganz gut, weil sie nicht so oft etwas ändern. Die IMSA stellt die BoP für das Wochenende ein und dann bleibt sie normalerweise unverändert, während in der DTM ständig daran herumgeschraubt wird. In Amerika ist es also etwas stabiler und man muss sich nicht so viele Gedanken darüber machen, dass es zu Problemen kommen könnte, aber letztendlich ist es immer noch dasselbe System.“
Frage: „Was war der größte kulturelle Schock, als du das erste Mal in der IMSA gefahren bist? Etwas, das du in Europa so noch nicht erlebt hast.“
Jack Aitken: „Wahrscheinlich das Essen. Es ist nicht das, was mir an Amerika am besten gefällt, aber der Lebensstil ist dort ganz anders. Auf der Rennstrecke ist es ziemlich ähnlich. Ich würde sagen, dass heute insgesamt mehr internationale Bewerber in die IMSA kommen als noch vor zehn Jahren, sodass es kulturell etwas gemischter ist. In Amerika zu sein, ist ganz anders als in Deutschland oder Großbritannien. Manchmal vermisse ich das britische Essen, aber ansonsten ist es okay.“
Frage: „Gelbe Flaggen während des gesamten Rennens und häufige Safety-Car-Phasen sind definitiv ein Element der IMSA. Sind sie für dich und dein Team eher Fluch oder Segen?“
Jack Aitken: „Ich mag die amerikanischen Cautions. Ich kenne einige Fans, die das [System] nicht mögen, weil dann eine halbe Stunde lang nichts passiert. Ich verstehe, dass dieser Teil nicht optimal ist. Andererseits erlebt man wirklich spannende Rennen, wenn die grüne Flagge wieder geschwenkt wird. Wenn man die WEC betrachtet, bei der dieselben Autos genutzt werden und es keine Gelbphasen dieser Art gibt, können die Rennen in Amerika aufgrund dessen viel spannender sein. Dort [in der WEC] geht es um Ausdauer und Strategie. Man muss das gesamte Rennen verfolgen, um zu verstehen, was passiert. Bei der IMSA reicht es, sich die letzten 20 Minuten anzuschauen, um zu wissen, dass es ein Shootout geben wird. Das finde ich persönlich gut.“
Frage: Verändert das Rennenfahren in den USA auch deine Herangehensweise und dein Risikomanagement im Vergleich zu Europa?
Jack Aitken: „Nein, ich denke, es ist ungefähr dasselbe, auch in der DTM wird sehr hart gefahren. Es gibt ein wenig Kontakt, und alle sind auf einem sehr hohen Niveau. In der Hinsicht gibt es kaum Unterschiede.“
Frage: „Wie passt du deinen Fahrstil auf Strecken wie Indianapolis oder Daytona an, die Oval-Kurven mit Infield-Abschnitten kombinieren, im Vergleich zu europäischen Rennstrecken, die fast ausschließlich Rundkurse sind?
Jack Aitken: „Wir verändern nur geringfügig das Setup des Autos, da im Banking viel Energie in die Reifen übertragen wird. In Daytona und Indianapolis ist man in den Steilkurven voll auf dem Gas, weshalb man sich fahrerisch nicht wirklich anpassen muss.“
Frage: „Hat sich der Lausitzring mit seiner Neigung in der letzten Kurve dann wie eine amerikanische Strecke angefühlt?“
Jack Aitken: „Ja, es ist ziemlich ähnlich und es war cool, dort zu fahren. Es macht immer Spaß, mit einem GT oder einem Prototyp durch die Steilkurven zu fahren. Irgendwie fühlt es sich falsch an, diese Boliden dort durch zu lenken, aber es ist cool, das zu sehen.“
Frage: „Welche Fähigkeit wird am meisten unterschätzt, wenn es darum geht, mit einem LMDh GTD-Autos zu überrunden?“
Jack Aitken: „Es geht fast nur um das Risikomanagement, aber auch darum, in den nächsten Sekunden zu sehen, wie sich die Fahrer verhalten, vor allem in den letzten Runden, wenn die Strecke sehr voll ist. Die erfahreneren Piloten können die anderen etwas besser einschätzen und sind eher bereit, auf das Gras zu fahren oder eine kleine Lücke zu nutzen, weil sie zuversichtlich sind, dass sie es schaffen. Ich denke, wenn man im ersten Jahr bei der IMSA anfängt, ist es sehr schwierig, solche Risiken einzugehen, weil man einfach nicht weiß, wie die anderen reagieren. Das muss man mit der Zeit lernen.“
Frage: „Die Hybridtechnologie in der GTP-Klasse ist noch relativ neu. Welche Veränderungen und Vorteile bringt sie aus der Perspektive des Fahrers mit sich?“
Jack Aitken: „Es ändert sich ziemlich viel, da das Auto durch das Hybridsystem deutlich schwerer wird. Dafür hat man aber mehr Leistung und auch ziemlich viele Möglichkeiten, die Balance des Autos zu kontrollieren. Da das Hybridsystem nicht nur über das Gas-, sondern auch über das Bremspedal gesteuert wird, hat man mehr Kontrolle. Wenn man in einer Kurve mehr Über- oder Untersteuern möchte, kann man mit den Einstellungen des Hybridsystems spielen. Ein Beispiel ist der Aston Martin, der kein Hybridsystem hat, aber in derselben Klasse fährt. Ihnen fehlt diese Art von Einstellungswerkzeug wirklich. Sie können vielleicht die gleiche Leistung wie wir erzielen, aber wenn sich die Strecke ändert, haben wir in dieser Hinsicht einen Vorteil.“
Frage: „Denkst du, dass die Hybridtechnologie auch eine Zukunft im GT3-Reglement hat?“
Jack Aitken: „Ich denke, es gibt Vor- und Nachteile, wie ich bereits gesagt habe. Der Vorteil ist, dass die Technologie ziemlich fortschrittlich ist und natürlich ein wenig Kraftstoff spart. Der Nachteil ist der Preis. Vielleicht werden die Systeme in den nächsten zehn Jahren immer günstiger, aber derzeit würde der Einsatz von Hybridfahrzeugen die GT3-Klasse sehr teuer machen. Die Stärke der GT3-Klasse besteht darin, dass ein Auto weltweit in verschiedenen Meisterschaften einsetzbar und preiswert ist. Immer noch nicht billig, aber günstiger als Prototypen, und wenn man Hybridfahrzeuge einsetzt, werden die Kosten sicherlich sehr hoch.“
Frage: „Wir haben über den Hybrid gesprochen und wir alle kennen das Video, in dem der Cadillac aus der Box fährt und dann der V8 loslegt. Was gefällt dir persönlich am Cadillac am meisten?“
Jack Aitken: „Ja, der Sound ist wirklich etwas Besonderes, es kommt nicht oft vor, dass ein Hersteller einen Rennwagen mit einem V8-Saugmotor baut, und das ist wirklich cool. Aber die Hypercar/LMDh-Vorschriften erlauben das, denn letztendlich kann man den Motor so bauen, wie man will, solange er diese Leistung bringt und natürlich zuverlässig ist. Viele Autos verwenden einen Turbo, weil man damit verschiedene Optionen hat, wie der Motor die Leistung erzeugt. Aber der V8 ist zuverlässig, hat eine sehr gute Gasannahme, läuft äußerst ruhig und der Sound ist unglaublich – das emotionale Erlebnis spielt dabei eine große Rolle“
Frage: „Wenn du ein IMSA-Konzept nach Europa bringen könntest, welches wäre das? Und warum?“
Jack Aitken: „In der IMSA gefallen mir die Gelbphasen und wie sie ablaufen. Ich denke, im Vergleich zur WEC bevorzuge ich das in der IMSA. Für den Fahrer ist es meiner Meinung nach spannender. Und abgesehen davon finde ich, die Amerikaner vermarkten den Sport gut. Die DTM hat immer eine wirklich gute Zuschauerresonanz, aber bei anderen GT3-Serien oder der European Le Mans Series könnten die Zuschauerzahlen meiner Meinung nach besser sein. Wenn man sich mehr am amerikanischen Stil orientieren und die Dinge in den sozialen Medien präsentieren würde, könnte das vielleicht helfen.“
Frage: „Welchen Rat würdest Du einem europäischen Fahrer geben, der zum ersten Mal bei der IMSA antritt?“
Jack Aitken: „Man muss die Augen weit offen halten, weil es sehr eng zu geht. Um eine schnelle Runde zu fahren, ist es dasselbe, aber dann gibt es Dinge wie das Überrunden in verschiedenen Klassen, sich an diese Oldschool-Strecken gewöhnen, die sehr wenig Auslaufzonen haben, Betonmauern und breite Curbs das ist einfach ein anderer Stil. Man muss etwas vorsichtiger sein, und diese Dinge lernt man mit der Zeit, man sollte nichts überstürzen.“
Autor(en)
Eriks Begeisterung für den Motorsport entfaltete sich frühzeitig, als er gemeinsam mit seinem Vater den Sachsenring besuchte. Das dort stattfindende ADAC GT Masters war ein prägendes Erlebnis für ihn. 2017 entdeckte er durch Zufall NASCAR im Fernsehen und schaute gemeinsam mit seinem Vater, einem großen Fan, die Rennen. Schon als Simracer kommentierte er virtuelle Ligen für Abgefahren Community und Virtual Racing. So kam er in Kontakt mit der Welt der Kommentatoren. Im Laufe seines Lebens besuchte er zahlreiche Live-Events. Sein Interesse gilt nicht nur den Rennen selbst, sondern auch dem Geschehen im Fahrerlager. Um seine Leidenschaft weiter auszubauen, entschied er sich, bei Leadlap.de als Hobbyredakteur und Podcaster seine nächsten Schritte in der Medienwelt zu machen.