Richtige Zeit, richtiger Ort: Jesse Love ist NASCAR-Xfinity-Series-Champion 2025
Jesse Love gewann auf dem Phoenix Raceway den Titel in der NASCAR Xfinity Series 2025 – Der Childress-Pilot nutzte das Playoff-Format eiskalt aus
Punktgleich, auf 4.000 Punkte gesetzt, gingen die vier Finalisten der NASCAR Xfinity Series in das große Finale auf dem Phoenix Raceway. Die Ergebnisse der 32 vorigen Rennen ebneten zwar den Weg ins Entscheidungsrennen, spielten aber in der Wertung keine Rolle mehr. „The winner takes it all“ und das war nicht der Dominator der Saison, Connor Zilisch, sondern Jesse Love, der mit Richard Childress Racing (RCR) die Trophäe holte.
Hier gibt es die offiziellen Highlights der NASCAR Xfinity Series auf dem Phoenix Raceway
Zu Beginn des Rennens setzte sich Brandon Jones an der Spitze fest, während Zilisch die Riege der Finalisten anführte. Love und auch Justin Allgaier, Champion des Jahres 2024, mischten vorne mit. Der einzige Titelkandidat, der nicht richtig in Schwung kam, war Carson Kvapil, der Probleme hatte, sich in die Top 10 zu kämpfen.
Die Chronologie des Finales
Nach zehn Runden verlor Zilisch erstmals die Führung im Titelkampf. Allgaier schoss an dem #88 Chevrolet vorbei und setzte sich auf Platz vier. Am Ende der ersten Stage kam auch Kvapil so richtig im Rennen an und ging an Love vorbei. Taylor Gray gewann die erste Stage, Allgaier wurde vor Zilisch Dritter. Kvapil landete auf Rang sechs, Love nicht einmal in den Top 10.
Zilisch übernahm zu Beginn des zweiten Segments die Führung des Rennens. Allgaier blieb innerhalb der Top 5 nah an seinem JR-Motorsports-Teamkollegen dran. Love kämpfte sich in die Top 10 zurück, während Kvapil wieder das Schlusslicht der Finalisten bildete. Allgaier hatte ein starkes Longrun-Auto und griff Zilisch nach 15 Runden in Stage zwei immer wieder an, bis er den Dominator der Saison 2025 in Runde 18 überholte.

Allgaier gewann die Stage vor Zilisch, Love wurde Fünfter, Kvapil landete auf Rang zehn. Es ging damit ins finale Segment des Phoenix-Finales. Love war zu diesem Zeitpunkt nie wirklich in der Lage, mit den beiden JR-Motorsports-Piloten Zilisch und Allgaier mitzuhalten, doch das sollte sich ändern. Mit guter Track-Position setzte sich der 20-Jährige endgültig an der Spitze fest.
Die Entscheidung in Stage drei
Plötzlich entfachte an der Spitze ein Dreikampf und Love wurde Runde für Runde stärker. In Runde 138 von 200 griff er erstmals nach der Führung und setzte Allgaier massiv unter Druck, während Zilisch auf Rang vier ein wenig den Anschluss verlor. RCR muss die richtigen Veränderungen am Fahrzeug vorgenommen haben, denn anders war dieser Umschwung in der Hackordnung nicht zu erklären.
50 Runden vor Schluss krachte Ryan Sieg in die Mauer und zerstörte das komplette Heck seines Autos, das er für den gesperrten Sam Mayer fuhr. Bei den Boxenstopps verlor Allgaier an Boden, da das Rad hinten rechts klemmte. Beim Restart übernahm Zilisch die Führung, Love wurde auf der Außenbahn eingequetscht, während sich Allgaier trotz des Rückschlags sofort in den Top 5 etablierte.

Bevor wir auf das Playoff-Format eingehen: Dieses Finale war ein Krimi, ein Rennen mit Überraschungen und drei Finalisten, die sich nichts schenkten. Zilisch, Allgaier und Love boten ihr A-Game und sorgten für großartige Unterhaltung. 25 Runden vor Schluss ging Love an Zilisch vorbei und übernahm so die Führung des Rennens. Aric Almirola setzte anschließend Zilisch unter Druck, dessen Auto nicht mehr die nötige Pace auf dem Longrun hatte. Love dominierte die Schlussphase, gewann und sicherte sich den Titel vor Zilisch, Allgaier und Kvapil.
Verdient oder nicht: Die große Playoff-Diskussion
Machen wir es kurz: Love ist verdienter NASCAR-Xfinity-Champion 2025. Jedes Team, jeder Fahrer kannte das Format vor dem Start der Saison 2025 und RCR hat im Finale genau das abgeliefert, was es braucht, um den Titel zu holen. Dennoch bleibt dieser fade Beigeschmack, da Zilisch die Saison 2025 eigentlich dominiert hatte.
Schauen wir auf die Zahlen: Love gewann zwei Rennen, fuhr neunmal in die Top 5 und 22 Mal in die Top 10. Sein durchschnittliches Ergebnis: 11,1. Es war eine starke Saison des 20-jährigen RCR-Piloten, keine Frage. Zilisch holte hingegen zehn Siege, 20 Top-5- und 23 Top-10-Ergebnisse, was für ein durchschnittliches Ergebnis von Rang acht reichte. Zilisch hätte den Titel sicher verdient gehabt, war im Finale aber nicht so stark wie Love.

Ist das Playoff-Format fair? Das ist die große Frage: Ergibt ein Finale, ein Rennen, das über die Meisterschaft entscheidet, wirklich Sinn? Darüber lässt sich sicher streiten. In der reinen Punktewertung hätte Zilisch den Titel mit 59 Punkten Vorsprung auf Allgaier gewonnen. Doch eine dominante Saison ohne Playoffs führte in der Vergangenheit nicht immer zum Meisterschaftssieg – ein Grund, warum damals der Chase und dann die Eliminationsrunden eingeführt wurden.
Ein Blick in die Vergangenheit
Matt Kenseth gewann in der NASCAR-Cup-Saison 2003 den dritten Saisonlauf in Las Vegas, das war es. Hinzu kamen elf Top-5- und 25 Top-10-Ergebnisse. Das reichte Kenseth, um den Titel zu gewinnen, obwohl Jimmie Johnson auf Platz zwei drei Rennen gewann. Ryan Newman auf Platz sechs siegte sogar in acht Rennen, hatte im Titelkampf aber keine Chancen, da ihm die Konstanz fehlte. Auch das war damals sehr unpopulär, weshalb NASCAR am Format schraubte.
Erst sollte in der Chase-Ära eine Meisterschaft nicht schon viele Rennen vor dem Saisonfinale entschieden sein, seit der Playoff-Ära sollten Rennsiege deutlich aufgewertet werden. Alle Formate haben ihre Vor- und Nachteile. Am fairsten ist sicherlich eine Saison mit Punkten in allen Rennen – kein Chase, keine Playoffs. Das kann aber auch zu langweiligen Saisonfinals führen, in denen der Meisterschaftskampf bereits lange entschieden ist.
NASCAR kennt die Kritik und wird höchstwahrscheinlich Veränderungen am Playoff-System vornehmen oder es sogar ganz abschaffen. Es liegen alle Optionen auf dem Tisch: weitermachen wie bisher, eine Finalserie von mehreren Rennen einführen oder sogar komplett auf ein Playoff- oder Chase-System verzichten. In der Truck-Serie kam NASCAR mit einem blauen Auge davon, denn Dominator Corey Heim holte den Titel. In der NASCAR Xfinity Series gewann Love den Titel, der gefühlt Zilisch gehörte.
Die Stimmen zum Finale
„Ich fühle mich einfach so unbeschwert und erleichtert“, sagt Love. Sein Vorsprung im Zielsprint von Phoenix betrug 0,861 Sekunden. „Es war ein hartes Jahr für mich und ich habe so viel Arbeit hineingesteckt, und Leute wie mein Vater und [Fahrer-Trainer] Scott Speed und mein ganzes Team der Nummer zwei haben genauso hart für meinen Traum gearbeitet wie ich für meinen eigenen.“
„Es ist noch nicht wirklich bei mir angekommen. All diese Emotionen, es fühlt sich nicht real an, fühlt sich überhaupt nicht real an“, so Love und fügt über den engen Kampf mit Zilisch hinzu: „Er ist mein bester Freund auf der ganzen Welt, aber nicht, wenn wir gegeneinander antreten. Wir fahren hart, aber fair gegeneinander. … Er ist heute Abend ein wirklich großartiges Rennen gefahren, aber mein Auto war heute Abend einfach besser.“

Richtig gelesen, Love und Zilisch sind sehr gut befreundet. Dementsprechend fair äußerte sich auch Zilisch nach dem Rennen: „Ich freue mich für ihn, denn er arbeitet hart dafür. Trotzdem war ich hier, um zu siegen, und das macht es nicht besser.“
JR-Motorsports-Teamchef Dale Earnhardt Jr. äußerte sich gegenüber NASCAR on FOX und Reporter Bob Pockrass deutlich zur Rechtmäßigkeit des Meisterschaftssieges von Love: „Es gab Jahre, in denen hat der dominante Fahrer den Titel nicht geholt, auch mit dem alten Format, das wir alle so lieben. Es hatte auch seine Schwachstellen, es gibt kein perfektes Format. Es gibt nur welche, die wir anderen vorziehen würden.“
„Ich war nach meinem Podcast am Dienstag, wir hatten Jesse da, bereit, das Ergebnis zu akzeptieren“, so Earnhardt Jr. weiter. „Ich liebe den Sport, ich liebe die Xfinity Series und was wir hier erreicht haben. Wir wollten heute Nacht den Titel holen, aber das haben Jesse Love und RCR geschafft, das kann ich feiern. Ich bin stolz und glücklich für die Leute bei RCR, sie sind wie Familie für mich. Es ist, wie es ist. Mal schauen, was kommendes Jahr passiert.“
Die Geschichte des Jesse Love
Aber es geht darum, im Finale abzuliefern, und das machte Love. Er ist ein talentierter, junger, hungriger Rennfahrer. Eine kleine Anekdote: Im Jahr 2020 besuchte ich mit Familie und Freunden den New Smyrna Speedway in Florida, um mir die Late-Model- und Modified-Rennen der World Series of Asphalt Stock Car Racing anzusehen. Mittendrin die Familie Love. Damals startete der 15-jährige Love bei den Late Models und mischte vorne mit.

Wir bekamen die Gelegenheit, mit Loves Vater zu sprechen, der uns schon damals sagte: „Merkt euch den Namen Jesse Love, der wird eines Tages ein ganz Großer werden!“ Er sollte Recht behalten: Love stieg die NASCAR-Leiter Schritt für Schritt auf und gewann 2025 in einem starken Finale den NASCAR-Xfinity-Titel.
Aber der Reihe nach: Love begann seine Karriere im zarten Alter von fünf Jahren in den Quarter-Midgets und gewann bis zum Alter von zehn Jahren viele Rennen und Titel. Mit 13 Jahren wechselte er bereits in die großen, bulligen und leistungsstarken Late-Models. 2018 gewann er zudem seinen ersten großen Titel in einer Legends-Cars-Meisterschaft; Love ging also den typischen Motorsportweg in Richtung NASCAR, der in den USA klar abgesteckt ist: Legends-Cars, Late-Models, NASCAR.
Willkommen im NASCAR-Kosmos
2020 machte Love seine ersten Schritte in der ARCA Menards Series und sicherte sich in vier Rennen gleich zwei Top-5-Ergebnisse. In der West-Series gewann er drei Rennen und schnappte sich auch gleich den Titel. Seinen ersten Sieg in der ARCA-Hauptserie holte er in der Teilzeitsaison 2021 auf dem Salem Speedway, gleichzeitig verteidigte er seinen Titel in der West-Serie mit zwei Triumphen.

2022 wechselte er zu Venturini Motorsports und sicherte sich einen weiteren Sieg in Springfield. 2023 fuhr er alle ARCA-Rennen für Venturini und schnappte sich dank seiner zehn Siege den ARCA-Titel. Im selben Jahr fuhr er die einzigen drei NASCAR-Truck-Rennen seiner Karriere mit einem vierten Platz in Phoenix als seine persönliche Bestmarke.
Love übersprang die Trucks und stieg sofort in die NASCAR Xfinity Series ein. In seinem Rookiejahr 2024 schnappte er sich gleich einen Sieg in Talladega und beendete die Saison mit RCR auf Platz acht. Im Jahr 2025 machte er den großen Schritt und gewann zwei Rennen: Daytona zum Auftakt und das bedeutende Finale in Phoenix zum Abschluss. In seiner erst zweiten Saison sicherte sich Love damit seinen ersten Titel auf nationaler NASCAR-Ebene.
Autor(en)
Andrés Faszination für den Motorsport begann in seiner Kindheit, als er regelmäßig Ovalrennen in den Niederlanden besuchte und abends NASCAR- sowie IndyCar-Rennen im TV verfolgte. Während seines Ökonomiestudiums begann er 2014 als Hobby-Redakteur über den Rennsport zu schreiben und machte seine Leidenschaft zum Beruf. Heute ist er NASCAR-Kommentator bei Sportdigital1+ und begleitet IndyCar & IMSA live auf Motorvision+ – dazu kommen viele weitere Rennserien im Highlights-Format. Als Redakteur schreibt er für Motorsport-Total, Motorsport.com und Formel1.de und ist zudem Reporter, Kommentator und Redakteur im Mediateam der NASCAR Euro Series.






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