Ein wahrer Alptraum: Overtimes aus der Sicht eines NASCAR-Teamchefs

Ein wahrer Alptraum: Overtimes aus der Sicht eines NASCAR-Teamchefs
Foto: NASCAR Media / Chris Graythen/Getty Images

Dale Earnhardt Jr. ist in seiner Rolle als NASCAR-Xfinity-Teamchef kein Fan von Overtimes – Er mahnt, nicht zu vergessen, was der Zirkus auf der Strecke kostet

„Als Teamchef freut man sich an keiner Strecke, wenn es in die Verlängerung geht“, sagt Dale Earnhardt Jr. in seinem Podcast Dale Jr. Download. Der NASCAR-Star ist Teamchef von JR Motorsports in der NASCAR Xfinity Series und beleuchtet das Thema „Overtimes” im NASCAR-Sport aus einer anderen Perspektive als die, die die Fans gewohnt sind.

„Ich verstehe die Perspektive der Fans“, erklärt er weiter. „Verzeiht mir, wenn ich nicht die Meinung der Hardcore-Fans vertrete. Es interessiert mich, was die Fans wirklich denken. Hätte ich die Macht, würde es in der Truck- und Xfinity-Serie keine Verlängerungen geben. Sie dienen dort wirklich keinen echten Zweck.“

Doch warum sollte in den beiden unteren nationalen Meisterschaften Rennen unter Gelb beenden, auch wenn den Fans an der Strecke und vor dem Fernseher damit ein Schlusssprint zur Zielflagge geklaut würde? „Das ist einfach nur eine weitere Möglichkeit, Unfälle zu bauen und das Material zu zerstören“, so der ehemalige Lieblingsfahrer der US-Fans.

So teuer ist allein ein Truck-Auto

„Die Autos in der Truck-Serie kosten 150.000 bis 250.000 US-Dollar“, so Junior weiter. Das sind umgerechnet schlappe 130.000 bis 230.000 Euro. „Wir haben das total vergessen und sind abgestumpft. Wenn wir einen Crash sehen, sehen wir nur den Unterhaltungswert oder das Drama, die kurzen Emotionen.“

Foto: NASCAR Media / Mike Ehrmann/Getty Images

„Keiner denkt mehr darüber nach, wie viele Millionen Dollar in einem Unfall verbrannt werden“, stellt Earnhardt Jr. klar. „Ich würde daher langfristig die Verlängerungen in der Truck- und Xfinity-Serie abschaffen. Manchmal gehen Rennen eben unter Gelb zu Ende. Das ist eine bittere Pille für die Fans, denn sie haben dafür bezahlt, ein Rennen bis zur Ziellinie zu sehen. Sie glauben, sie haben das verdient.“

„Das verstehe ich! Wir können das auch in der Cup-Serie umsetzen, denn die Fahrer machen dort weniger Fehler und sind professioneller. Sie werden seltener ihr eigenes Auto oder das gesamte Feld zerstören. Es wird auch ohne Overtimes Unfälle geben. Das wäre aber ein Kompromiss, denn ich bin überhaupt kein Fan von Verlängerungen“, erklärt Earnhardt seinen Standpunkt. Doch auch in der Cup-Series kracht es in den Overtimes immer wieder.

Earnhardt Jr. wünscht sich ein klares Ende

„Ein Rennen sollte zu dem Zeitpunkt enden, wann es enden sollte. 400 Meilen sind 400 Meilen“, sagt der Teamchef, der sich dennoch auf Overtimes in der Cup-Serie einlassen würde. „Ich bin traditionell eingestellt, aber ich verstehe, dass die Fans, die das ganze Wochenende da sind, zumindest einen Overtime-Versuch verdienen. Wir könnten uns in der Mitte treffen, aber in der Xfinity- und Truck-Serie können sie abgeschafft werden.“

Doch warum? Unfälle seien in den beiden unteren Ligen unnötig, so Earnhardt Jr. Die Meisterschaften dienen als Rahmenprogramm der NASCAR Cup Series und gelten als Ausbildungsbereich – nicht nur für Fahrer, sondern auch für Ingenieure, Mechaniker und andere Teammitglieder. Unnötige Unfälle bedrohen so nur die Wirtschaftlichkeit der Teams – und das laut Junior nur für die Unterhaltung.

„Gäbe es in der Xfinity-Serie keine Overtimes, würde mein Team allein mehrere hunderttausend Dollar sparen“, stellt Junior klar. Zur Erinnerung: In beiden Meisterschaften treten auch kleinere Teams an, die nicht über unendliche Ressourcen verfügen und die Chassis für viele Rennen benötigen. Geht eines davon verloren, ist die Saison sofort bedroht.

Junge Fahrer lernen nichts Gutes

Auch für die Ausbildung der Fahrer hält Earnhardt die Overtimes für kontraproduktiv: „Sie gewöhnen sich schlechte Angewohnheiten an, nicht die guten! Bei den Green-White-Checkers geht es nicht darum, professionell und schnell zu sein, das ist Chaos pur. Du riskierst das Auto und bist damit einverstanden, dass das passieren kann. Sie werden in diesen Szenarien dazu gezwungen.“

Zum Vergleich: In der IndyCar-Serie gibt es keine Overtimes, weder auf Ovalen noch auf Rundkursen. Dadurch ist schon einmal ein Indy 500 unter Gelb zu Ende gegangen. Die Fahrer passen in der finalen Phase des Rennens auf oder sind „clever”, wie Junior sagt, damit das Rennen mit einer Chance auf ein besseres Ergebnis zu Ende geht. Er ist dabei sehr deutlich, wenn es um Overtimes geht: „Das ist eine Shitshow!”

Auf der anderen Seite gehen viel weniger Rennen unter Gelb zu Ende, was den Fans jedes Mal Spektakel pur bietet. Außerdem gibt es immer wieder dramatische Momente in den Verlängerungen, die in Erinnerung bleiben. Aus wirtschaftlicher Sicht sind Overtimes für einen NASCAR-Teamchef jedoch ein Alptraum, denn die Wahrscheinlichkeit eines Crashs ist deutlich höher als ohne eine Verlängerung des Rennens.

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Freiberuflicher Kommentator & Journalist | Zur Webseite |  + posts

Andrés Faszination für den Motorsport begann in seiner Kindheit, als er regelmäßig Ovalrennen in den Niederlanden besuchte und abends NASCAR- sowie IndyCar-Rennen im TV verfolgte. Während seines Ökonomiestudiums begann er 2014 als Hobby-Redakteur über den Rennsport zu schreiben und machte seine Leidenschaft zum Beruf. Heute ist er NASCAR-Kommentator bei Sportdigital1+ und begleitet IndyCar & IMSA live auf Motorvision+ – dazu kommen viele weitere Rennserien im Highlights-Format. Als Redakteur schreibt er für Motorsport-Total, Motorsport.com und Formel1.de und ist zudem Reporter, Kommentator und Redakteur im Mediateam der NASCAR Euro Series.

André Wiegold

Andrés Faszination für den Motorsport begann in seiner Kindheit, als er regelmäßig Ovalrennen in den Niederlanden besuchte und abends NASCAR- sowie IndyCar-Rennen im TV verfolgte. Während seines Ökonomiestudiums begann er 2014 als Hobby-Redakteur über den Rennsport zu schreiben und machte seine Leidenschaft zum Beruf. Heute ist er NASCAR-Kommentator bei Sportdigital1+ und begleitet IndyCar & IMSA live auf Motorvision+ – dazu kommen viele weitere Rennserien im Highlights-Format. Als Redakteur schreibt er für Motorsport-Total, Motorsport.com und Formel1.de und ist zudem Reporter, Kommentator und Redakteur im Mediateam der NASCAR Euro Series.
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